MBSR-Trainer Alexander Tomiczek im Interview mit Pflegeleitung Barbara Schröer

Erfahren Sie, was Achtsamkeit umfasst und welche Missverständnisse sich hartnäckig über ihre Kernbotschaft halten.

 

Barbara Schröer, einladend und zum Gesprächsauftakt ein bisschen verschmitzt: „Alex, wenn ich dir begegne, drossele ich automatisch mein Tempo. Es scheint mir nicht kompatibel mit der Ruhe, die du ausstrahlst. Du lebst offenbar, was du lehrst – oder ist das eines der Missverständnisse über Achtsamkeit, dass diese unbedingt Gelassenheit hervorbringen muss?“

Alexander Tomiczek: „Achtsamkeit wird oft mit Entspannung oder Gelassenheit gleichgesetzt. Das ist tatsächlich ein großes Missverständnis und führt dazu, dass manche Menschen glauben, etwas falsch zu machen, wenn sich diese Zustände nicht sofort einstellen. Das Üben kann aber zu Beginn genau das Gegenteil bewirken.

 

Barbara Schröer: „´Verstehe – wenn jemand mit festen Erwartungen kommt, ist Frustration vorprogrammiert. Gibt es denn eine Grundvoraussetzung oder besser eine Grundhaltung, die man als Teilnehmer deines MBSR-Trainings mitbringen sollte?“

Alexander Tomiczek: „Jeder Mensch kann Achtsamkeit praktizieren. Es braucht allerdings eine gewisse Offenheit, sich auf etwas scheinbar Unbekanntes einzulassen. Bei mir sind auch Teilnehmer herzlich willkommen, die noch skeptisch sind oder aufgrund der vorhin erwähnten Missverständnisse schlechte Erfahrungen in anderen Kursen gemacht haben.“

 

Barbara Schröer: „Wie würdest du die Kernbotschaft von Achtsamkeit formulieren und was kann mit Übung erreicht werden?“

Alexander Tomiczek: „Achtsamkeit ist, einen Weg aus dem automatischen, unwillkürlichen und oft manipulativen Denken herauszufinden, dadurch entscheidungs- und handlungsfähig zu werden und damit in die Lage zu kommen, das Leben leben zu lernen. Oder wie Jon KabatZinn, der Begründer des MBSR-Programms sagt:

‚Du kannst die Wellen nicht aufhalten, aber Du kannst lernen auf ihnen zu surfen´.

Es ist dieser Moment, wenn Menschen feststellen, dass sie nicht der Denker oder ihre Gefühle sind. Wenn sie merken, dass ihr Körper nur die ‚Bühne´ für ihre Gedanken und Gefühle ist, die sie mit etwas Übung vom ‚Zuschauerraum´ aus betrachten können. Es ist der Beginn vom Ende, den eigenen Gedanken und Gefühlen ausgeliefert zu sein. Die Erfahrungen, die Menschen durch kontinuierliches Üben machen können, lassen sich grob in die folgenden Phasen unterteilen:

  1. „Es (das Theater von Gedanken und Gefühlen) findet zwar in mir (auf meiner Bühne) statt, aber ich bin nicht das Geschehen.“
  2. „Es findet zwar in mir statt, aber ich spüre eine Wahlmöglichkeit, was ich damit mache.“
  3. „Da ich jetzt die Wahl habe, mich nicht in das Geschehen in mir und auch nicht in das Geschehen außerhalb von mir einmischen zu müssen, werde ich zunehmend gelassener.“
  4. „Gelassenheit zu trainieren, entwickelt gleichzeitig meine Fähigkeit loslassen zu können, sowie Dinge zu akzeptieren, die ich gerade nicht ändern kann.“
  5. „Achtsamkeit wird zu einer Lebenshaltung.“
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Barbara Schröer ist unsere Pflegeleitung der BetaGenese Klinik und ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin. Mit viel Pionierarbeit und Hingabe hat sie den Bereich Pflege seit der Klinik-Eröffnung im Jahr 2014 mit aufgebaut und gestaltet.

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Barbara Schröer: „Dann geht es also mehr um Wahrnehmung und Akzeptanz im jeweils gegenwärtigen Moment – verstehe ich das richtig?

Alexander Tomiczek: „Ja genau. Mit fortschreitender Übung entwickelt sich die Fähigkeit, das durch Gedanken und Gefühle inszenierte ‚Theaterstück´ immer bewusster beobachten zu können und sich dadurch immer mehr von der Identifikation des Geschehens zu lösen. Es findet zwar in mir statt, aber ich bin nicht das Geschehen. Mit der Zeit fällt es immer leichter das ‚Theaterstück´ anzuschauen und es entwickelt sich die Möglichkeit, das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu hinterfragen. Das Gefühl, dem ‚Theaterstück´ nicht mehr ausgeliefert zu sein, wird konkreter und es entsteht die Erkenntnis, eine Entscheidung treffen zu können. Zum Beispiel. beim gerade stattfindenden ‚Theaterstück´ mitzumachen, es sich weiter anzuschauen oder es zu verlassen. Es findet zwar in mir statt, aber ich habe die Wahl, was ich damit mache. Mit dem kontinuierlichen Training der Achtsamkeit wird immer deutlicher, dass Gedanken, Impulse, Gefühle oft unvermittelt und wahllos auftauchen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen, verstärken oder vermindern. Glaubenssätze, Überzeugungen, selbstschädigende Gedanken, Ursachen für Ängste, Ursachen für die momentane Stimmung, Gedanken bzw. Verknüpfungen zum Beispiel über den Sinn oder Unsinn des Lebens, können immer klarer erkannt werden. Übende erfassen, dass zum Menschsein alle Emotionen gehören. Auch die, die sich nicht gut anfühlen. Sie können immer besser entscheiden, auch die unangenehmen Gefühle fühlen zu dürfen und merken, dass diese ihren Sinn haben und nicht bekämpft werden müssen. Beispielsweise kann die Erkenntnis wachsen, dass plötzlich aufkommende Traurigkeit keinen Grund haben muss und es eine Möglichkeit gibt zu entscheiden, diese Traurigkeit einmal bewusst zu fühlen und damit diese Traurigkeit als das anzunehmen, was sie ist: Nämlich lediglich plötzliches Auftauchen von Traurigkeit.

Barbara Schröer: „Durch das Praktizieren von Achtsamkeit lernen wir also unsere Aufmerksamkeit bewusst zu lenken und uns somit der Willkür des ‚Denkers´ bewusst zu entledigen?

Alexander Tomiczek: „Für gewöhnlich sind wir Menschen mit unserer Aufmerksamkeit bei der denkenden Instanz in uns. Das Praktizieren von Achtsamkeit ist der Prozess, dieser denkenden Instanz in uns ganz bewusst, immer wieder und so oft wie möglich, die Aufmerksamkeit zu entziehen. Von daher sollte das Üben nicht auf den Kursraum bzw. auf die Meditationsmatte beschränkt sein, sondern sollte sofort in den Alltag integriert werden. Alle alltäglichen Dinge können achtsam ausgeführt werden. Das morgendliche Zähneputzen kann gefühlt und geschmeckt werden, das Einseifen des Körpers beim Duschen kann gefühlt werden, ein oder zwei Bissen des Frühstücks können ganz bewusst geschmeckt werden. Der Kaffee kann gefühlt, gerochen, geschmeckt werden. Das Gehen zum Kühlschrank, das Schälen von Kartoffeln kann gefühlt werden. Jede Tätigkeit kann zu einer Trainingseinheit werden. Dabei wird die Fähigkeit trainiert, dass was gerade geschieht, immer feiner beobachten zu können. Gleichzeitig wird die Fähigkeit trainiert, die eigene Aufmerksamkeit zu lenken und mit der Aufmerksamkeit, die bewusst auf etwas gerichtet wird, verweilen zu können. Wer fähig ist, seine Aufmerksamkeit zu lenken, wird in die Lage versetzt Entscheidungen dahingehend zu treffen, wo sich die Aufmerksamkeit befinden soll. Das Lenken der Aufmerksamkeit führt zusätzlich zur Sensibilisierung der Sinne. Das führt wiederum dazu, das Leben viel intensiver wahrnehmen zu können. Beispielsweise können Berührungen intensiver gefühlt werden, Geschmack kann sich verfeinern, die Fähigkeit Glück wahrnehmen zu können verstärkt sich, die Wahrnehmung für Dinge, die schädlich sind bzw. gut tun wird deutlicher. Je sensitiver die Sinne, desto einfacher wird es, dem unwillkürlichen Denken die Aufmerksamkeit zu entziehen. Denn können Übende schöne Töne intensiver hören oder gar fühlen, wie zum Beispiel eine schöne Musik oder das Zwitschern von Vögeln, oder die angenehme Wärme der Sonne im Gesicht fühlen usw., bleibt damit deutlich weniger Raum für störende Gedanken. Je weniger störende Gedanken die Gefühlswelt beeinflussen, desto größer die Chance, selbstbestimmter, unabhängiger, glücklicher, weniger gestresst und gelassener zu werden.

Barbara Schröer: „Alex, Danke für das aufschlussreiche und inspirierende Interview. Mir kommt noch eine letzte Frage in den Sinn, mit der wir dann zum Schluss finden: Über Achtsamkeit entwickelt sich auch die Fähigkeit, loslassen zu können, sagtest Du vorhin. Wie lässt sich hier der Zusammenhang herleiten?

Alexander Tomiczek: „Gelassenheit kommt von ‚Lassen können´. Um etwas lassen zu können, braucht es die Möglichkeit, zwischen Reiz und Reaktion eine Entscheidung treffen zu können. Die so genannte Pause, die sich unter anderem durch das Üben von Achtsamkeit entwickelt, versetzt Übende in die Lage, das Geschehen zunächst lediglich zu betrachten. Gelassenheitstraining fördert gleichzeitig die Fähigkeit loslassen zu können sowie Dinge zu akzeptieren, die ich gerade nicht ändern kann.“

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Alexander Tomiczek

Alexander Tomiczek ist Heilpraktiker (Psychotherapie) und unterrichtet im Rahmen eines stationären Aufenhtaltes unsere MBSR Kurse (Mindfulness-Based-Stress-Reduction, übersetzt achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) in der BetaGenese Klinik.

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